Institut für Rechtsmedizin
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Genetic and phylogeographic evidence for Jewish Holocaust victims at the Sobibór death camp

Eine Kooperation von deutschen, polnischen und österreichischen Rechtsmedizinern untersuchte Opfer aus Sobibór.

30.08.2021

Archäologen fanden bei Ausgrabungen im ehemaligen Vernichtungslager Sobibór in Polen nicht nur die Grundmauern von Gaskammern, sondern unerwartet, außerhalb davon, zehn fast vollständig erhaltene menschliche Skelette, teils mit Kopfeinschusslöchern, die für Hinrichtungen typisch sind. In der Annahme, dass es sich um Opfer des frühen kommunistischen Nachkriegsregimes handelte, veranlasste die polnische Staatsanwaltschaft molekulargenetische Untersuchungen zur Identifizierung der unbekannten Skelette. Aus den DNA-Analysen lässt sich ableiten, dass es sich bei den Opfern um aschkenasische Juden handelte. Bisher ging man davon aus, dass Juden in Sobibor ausschließlich durch Gas ermordet und deren menschliche Überreste vollständig kremiert wurden. Die wissenschaftliche Zeitschrift Genome Biology berichtet darüber in einer interdisziplinären Studie ( https://genomebiology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13059-021-02420-0).

Bei archäologischen Feldarbeiten im Bereich des Lagers III, der eigentlichen Vernichtungsstätte Sobibórs, wurden Mauerreste entdeckt, die auf ehemalige Gaskammern hindeuten. Unerwarteterweise wurden in der Nähe zehn fast vollständig intakte Skelette gefunden. Aufgrund archäologischer und historischer Befunde wurden diese Überreste ursprünglich polnischen Partisanen zugeschrieben, Opfer des kommunistischen Regimes der 1950er Jahre. Zeugenaussagen legten die Einäscherung aller jüdischen Opfer des Zweiten Weltkriegs vor der Auflösung des Lagers Sobibór nahe.
„Wir haben von der Lubliner Staatsanwaltschaft den Auftrag erhalten, zur Klärung der Identität der menschlichen Überreste mithilfe moderner forensischer DNA-Technologien beizutragen“, sagt Andrzej Ossowski, der die Abteilung für Forensische Genetik in Stettin leitet und einer der Studienleiter war.
Molekulargenetische Analysen der aus den stark degradierten menschlichen Überresten extrahierten DNA wurden unabhängig in zwei forensisch-genetischen Labors, der Abteilung für Forensische Genetik der Pommerschen Medizinischen Universität in Stettin, Polen und dem Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck, Österreich, durchgeführt und erbrachten übereinstimmende Ergebnisse.
Die genetischen Untersuchungen umfassten die Sequenzanalyse der mitochondrialen DNA, die nur mütterlicherseits vererbt wird. Die Vergleiche der aus den Überresten ermittelten mitochondrialen DNA-Sequenzen mit einschlägigen Datenbanken ergaben in neun der zehn Proben vollständige Übereinstimmungen. Acht dieser Übereinstimmungen bezogen sich auf Individuen aschkenasischer Herkunft. In einigen Fällen wurden Übereinstimmungen mit mitochondrialen DNA-Sequenzen beobachtet, die in modernen Aschkenasim sehr häufig, in der allgemeinen Bevölkerung aber selten oder unbeobachtet sind (z. B. Erblinien K1a1b1a, K2a2a). "Die mitochondrialen DNA-Übereinstimmungen sind in diesem Fall von besonderer Bedeutung, da die matrilineare Abstammung in den meisten Bewegungen des Judentums als relevant angesehen wird", sagt Marta Diepenbroek, derzeit Postdoc-Forscherin am Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München und Erstautorin der Studie.

Darüber hinaus wurden väterlich vererbte Y-chromosomale DNA-Marker analysiert und ergaben Y-Linien, die bei aschkenasischen Juden häufiger vorkommen als in der Allgemeinbevölkerung. Insbesondere vier der untersuchten Überreste gehören der Linie J-P58 an, die in Europa fast ausschließlich in Aschkenasim beobachtet wird. Zudem ist diese Linie in der jüdischen Priesterschaft Cohanim weit verbreitet. Die Analyse der Daten aus den Überresten ergab vollständige oder sehr enge Übereinstimmungen mit dem Cohen Modal Haplotyp, jener Y-chromosomalen Erblinie, die innerhalb der jüdischen Cohanim geteilt wird. „Unter den in dieser Studie gesammelten Befunden war die DNA eindeutig das stärkste Mittel, um zur Klärung der Herkunft der Personen beizutragen“, sagt Marta Diepenbroek.
Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die genetischen Ergebnisse in Kombination mit den nicht-genetischen Befunden auf eine jüdische Herkunft der Opfer hindeuten und nicht auf die ursprünglich vermutete, nicht-aschkenasische Abstammung. Angesichts der Ergebnisse wurden die menschlichen Überreste in Anwesenheit eines Rabbiners und nach jüdischem Ritus am Ort ihrer Entdeckung wieder bestattet.
„Dies ist ein herausragendes Beispiel für interdisziplinäre Forschung innerhalb der Forensik zur Klärung historischer Fälle“, sagt Walther Parson, Leiter des Fachbereichs Forensische Genomik in Innsbruck und einer der Studienleiter.

Diepenbroek, M., Amory, C., Niederstätter, H. et al. Genetic and phylogeographic evidence for Jewish Holocaust victims at the Sobibór death camp. Genome Biol 22, 200 (2021). https://doi.org/10.1186/s13059-021-02420-0


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