Institut für Rechtsmedizin
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Isotopengutachten

A) Analysen stabiler und radiogener Isotope: Ermittlung der geografischen Herkunft und Aufenthaltsorte von unbekannten Toten

B) Radiokarbonanalysen: Liegezeitbestimmung von Knochenfunden

Ansprechpartner

Dr. Christine Lehn           christine.lehn@med.uni-muenchen.de

A) Ermittlung von geografischer Herkunft und Aufenthaltsorten von unbekannten Toten mittels Analysen stabiler und radiogener Isotope

Mittels biogeochemischer Isotopenmethoden werden in der Rechtsmedizin vorwiegend unbekannte Tote untersucht, um Informationen über ihre geografische Herkunft und Aufenthaltsorte im Laufe ihres Lebens zu gewinnen. Die Methoden können an rezenten Toten angewendet werden, oder an solchen, deren Identität auch nach vielen Jahren mit den üblichen Methoden (Fingerabdruck, DNA-Abgleich, Zahnstatus) nicht geklärt werden konnte („cold cases“).
Grundlage eines Isotopengutachtens ist die Analyse der Isotopen-Häufigkeitsverhält¬nisse verschiedener Bioelemente (stabile Isotope von H, C, N, O und S) und Geoelemente (radiogene Isotope von Strontium und Blei). Die Isotope sind Atomarten der genannten chemischen Elemente unterschiedlicher Masse; ihre Zusammensetzung an einem Ort ist abhängig von Klima, Geologie und verschiedenen anthropogenen Umwelteinflüssen. Über Nahrung, Getränke und Umwelt gelangt das lokal spezifische Isotopenmuster in die Körpergewebe von Tieren und Menschen (Tab. 1).

Tabelle 1: Stabile und radiogene Isotope verschiedener Elemente und ihre geografische Information

element

Über die Untersuchung verschiedener Körpergewebe von Personen, die die Information aus Nahrung und Getränken in unterschiedlichen Lebensabschnitten integriert haben, können geographische Veränderungen im Laufe ihres Lebens erkannt werden. Körpergewebe wie Zähne, Knochen, Haare/ Nägel enthalten in ihrer Gesamtheit Informationen von der Kindheit bis zum Tod.

IsotopenanalyseZähne werden in Kindheit und Jugend gebildet und nach ihrer Fertigstellung nicht mehr umgebaut, demzufolge bleibt die Information aus der frühen Lebensphase einer Person in ihnen erhalten. Knochen sind bis zum ca. 20. Lebensjahr vollständig ausgebildet, im Gegensatz zu den Zähnen sind sie aber lebenslangen Umbauprozessen unterworfen. Knochen sind deshalb am ehesten die Informationsträger der adulten Lebensphase. Haare und Nägel wachsen kontinuierlich (Kopfhaare ~1cm pro Monat, Nägel 2-4 mm pro Monat), aus diesen lassen sich Erkenntnisse zu geografischen Aufenthaltsorte während der letzten Lebensphase einer Person gewinnen. Über die Beprobung kurzer Haarabschnitte (3-5 mm) entlang eines Haarstranges können zudem besondere Lebensumstände erkannt werden, die sich während der letzten Lebensmonate einer Person ereignet haben, beispielsweise kürzere Auslandsaufenthalte, Hungerzustände, spezifische Krankheiten oder Schwangerschaften.
Körpergewebe von Neugeborenen enthalten Hinweise zur geografischen Herkunft der Kindsmutter und über ihre Aufenthaltsorten während der Schwangerschaft, bei Säuglingen oder Kleinkindern kann zudem die postnatalen Ernährungssituation (Stillen, Abstillen, Art der Nahrung) festgestellt werden.

Datenbank

Als Datenbasis zur Ermittlung der geografischen Herkunft und Aufenthaltsorte unbekannter Toter dient eine Isotopendatenbank, die seit vielen Jahren an unserem Institut aufgebaut wird. Mittlerweile enthält sie die Stabilisotopensignaturen der Bioelemente (C-N-S-H) von mehr als 1000 weltweit gesammelten Haarproben.

Untersuchungsmaterial

Für die Erstellung eines Isotopengutachtens zur Klärung der geographischen Herkunft und Aufenthaltsorte von nicht identifizierten Toten werden sind folgende Körpergewebe am besten geeignet (und sollten deshalb bei entsprechender Fragestellung asserviert werden):

  •  Zahn 6,
  •  Zahn 8,
  •  Haarstränge,
  •  Fingernägel,
  •  ein Stück Femur aus der Diaphyse,
  •  ein Rippenknochen.

Verschiedene forensische Fragestellungen, die mittels Isotopenmethoden bearbeitet wurden:

  •  Geographische Herkunft von nichtidentifizierten Toten (seit 2010: ca. 50 rezente Individuen und ca. 175 historisch-archäologische Individuen)
  •  Geographische Herkunft der Kindsmutter von tot aufgefundenen Neugeborenen (seit 2010: ca. 25 Individuen)
  •  Herkunfts- und Identitätsprüfung von verschiedenen forensisch relevanten Materialien: Medikamente, Tierproben, Pflanzenmaterial, Marmelade, Zigaretten, u.a.

Zusammenarbeit

  •  Isolab GmbH, Laboratorium für Stabil-Isotopenanalytik, Schweitenkirchen (PD Dr. habil. Andreas Roßmann)
  •  Freie Universität Amsterdam (Vrije Universiteit Amsterdam), Faculty of Earth and Life Sciences (FALW), Deep Earth and Planetary Science Cluster (Prof. Gareth Davies, Dr. Lisette Kootker, Dr. Saskia Ammer)
  •  Ries-Krater-Museum Nördlingen (Prof. Dr. Stefan Hölzl)
  •  Institut für Geographie, FAU Erlangen-Nürnberg (PD Dr. Christoph Mayr)

Neuere Publikationen

  • Lehn, C., Rossmann, A., Graw, M., & Davies, G. R. (2021). Identification of a female murder victim found in Burgenland, Austria in 1993. Forensic Sciences Research, 1-11.
  • Lehn, C., Rossmann, A., & Mayr, C. (2020). Stable isotope relationships between apatite phosphate (δ18O), structural carbonate (δ18O, δ13C), and collagen (δ2H, δ13C, δ15N, δ34S) in modern human dentine. Rapid Communications in Mass Spectrometry, 34(8), e8674.
  • Lehn, C., Kalbhenn, E. M., Rossmann, A., & Graw, M. (2019). Revealing details of stays abroad by sequential stable isotope analyses along human hair strands. International journal of legal medicine, 133(3), 935-947.
  • Lehn, C. & Graw, M. (2017). Isotopenanalyse. In: Rosendahl, Wilfried; Madea, Burkhard (Eds.) Tatorte der Vergangenheit. Archäologie und Forensik. Theiss, Konrad Verlag, Darmstadt, 80-84.
  • Lehn, C. & Graw, M. (2017). Haare, Zähne und Knochen – Über Isotopenanalysen zu Lebensdaten. In: Rosendahl, Wilfried; Madea, Burkhard (Eds.) Tatorte der Vergangenheit. Archäologie und Forensik. Theiss, Konrad Verlag, Darmstadt, 85-91.
  • Lehn, C. & Graw, M. (2016). Identifizierung einer skelettierten „Kofferleiche “aus Berlin. Rechtsmedizin, 26(5), 429-435.
  • Lehn, C., Lihl, C., & Roßmann, A. (2015). Change of geographical location from Germany (Bavaria) to USA (Arizona) and its effect on H–C–N–S stable isotopes in human hair. Isotopes in environmental and health studies, 51(1), 68-79.
  • Lehn, C. & Graw, M. (2015). Provenancing of unidentified corpses by stable isotope techniques–presentation of case studies. Science & Justice, 55(1), 72-88.
  • Hülsemann, F., Lehn, C., Schneiders, S., Jackson, G., Hill, S., Rossmann, A., ... & Schänzer, W. (2015). Global spatial distributions of nitrogen and carbon stable isotope ratios of modern human hair. Rapid Communications in Mass Spectrometry, 29(22), 2111-2121.

B) Radiokarbonanalysen: Liegezeitbestimmung von Knochenfunden

isoknochenNicht selten werden menschliche Knochen aufgefunden, beispielsweise im Zuge von Bauarbeiten, oder als Zufallsfunde im Wald, in Flussbetten, auf Dachböden oder an anderen eher unzugänglichen Orten. Über eine Analyse des C14-Gehalts (Radiokarbondatierung) der Knochen kann ermittelt werden, ob es sich um moderne, und damit forensisch relevante, oder um historisch-archäologische Funde handelt.
Lebende Organismen bauen permanent den aktuellen atmosphärischen C14-Wert in ihre Körpergewebe ein. Nach ihrem Tod nimmt der Anteil dieser gebundenen radioaktiven C14-Atome gemäß dem Zerfallsgesetz ab. Die Halbwertszeit von C14 beträgt 5730± 40 Jahre, dies ermöglicht eine Altersbestimmung historisch-archäologischer Proben zwischen 300 und etwa 60.000 Jahren.
Sehr präzise kann mit der Radiokarbonmethode die Liegezeit von modernen Knochenfunden datiert werden, insbesondere von Personen, die nach 1950 geboren wurden. Dabei kommt uns zugute, dass sich der C14-Gehalt in der Atmosphäre infolge der Kernwaffentests nach 1953 vorübergehend verdoppelt hat („Bombenpeak“). Des Weiteren ist über eine Radiokarbon-datierung von Zähnen die Ermittlung des Geburtszeitraumes von rezenten Personen möglich.

  pmc

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Radiokarbonmethode#/media/Datei:Radiocarbon_bomb_spike.svg

Die Ergebnisse von Radiokarbondatierungen an unserem Institut zeigen, dass der älteste Knochenfund (Schädel eines etwa 12jährigen Kindes) eine Liegezeit von etwa 3500 Jahre hatte; 30% der Knochenfunde stammten aus dem 6.-16. Jahrhundert, etwa 50% aus der Zeit zwischen 1650 und 1950, und 15 Knochenfunde (20%) waren modern, d.h. die Personen müssen nach 1950 gelebt haben, und damit forensisch relevant.


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